Mithilfe der naturwissenschaftlich operierenden Hirnforschung lässt sich inzwischen sehr vieles rund um das Verhältnis von Körper, Geist und Bewusstsein erklären. Es gibt aber noch nicht einmal einen Anhaltspunkt, wie man die Existenz des phänomenalen, "gefühlten" Bewusstseins rein naturwissenschaftlich erklären können sollte. Bewusstsein scheint von gänzlich anderer Art zu sein als alle physikalisch untersuchbaren materiellen "Gegenstände" (von Kutschera: Bewusstsein nicht im Gehirn). Doch kann es wirklich sein, dass Bewusstsein etwas "Übernatürliches" ist, dessen Verständnis den Naturwissenschaften grundsätzlich verborgen bleiben wird?
Das Qualia-Problem
Beim Körper-Geist Problem geht es heute vor allem darum, wie sich die "Qualität" von Bewusstsein erklären lässt, was auch mit "Qualiaproblem" umschrieben wird. Wie lässt sich die subjektiv erlebte "Qualität" von Bewusstsein, das Gefühl, etwas aus erster Person Perspektive zu fühlen widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit empirischen Belegen erklären? Wie lässt sich naturwissenschaftlich erklären, wie es sich anfühlt Zahnschmerzen zu haben oder die Farbe rot zu sehen (vgl. dazu den Wikipedia-Artikel)?
Bei diesem Qualiaproblem handelt es sich um eines der grössten Probleme der Philosophie, das bereits im 19. Jahrhundert als grundsätzlich unlösbar betrachtet wurde (Ignorabimus) und dessen Lösung auch heute noch unerreichbar erscheint.
Das Qualiaproblem ist deshalb so faszinierend, da sich die Existenz von Qualia kaum sinnvoll bestreiten lässt. Es ist schlicht eine Tatsache, dass wir bewusst wahrnehmen und zu dieser bewussten Wahrnehmung auch eine qualitative Empfindung gehört. Es ist auch nicht möglich ohne solche Empfindungen Wissenschaft zu betreiben (»Prämissen).
Die zwei Positionen
In der Diskussion rund um das Körper-Geist, respektive das Qualia-Problem stehen sich zwei Positionen gegenüber:
auf der einen Seite stehen die Naturwissenschaften, welche den Geist inklusive Qualia als evolutionären "bottom-up" Prozess verstehen, also der Ansicht sind, dass sich Geist und Qualia evolutionär aus Materie heraus entwickelt haben (»Löst der Materialismus das Körper-Geist Problem?).
Auf der anderen Seite stehen Vorstellungen, welche insbesondere betonen, dass es sich bei Geist und Qualia um etwas nicht Materielles handelt und dass Geist und Qualia auch nicht durch Materie hervorgebracht werden können.
Zur ersten Position gehören Materialismus, Physikalismus und Naturalismus wie auch der kaum vertretene »Panpsychismus, zur zweiten Position der Idealismus (»Realismus oder Idealismus) und der »Leib-Seele Dualismus.
Keine dieser Positionen kann allerdings erklären, wie die Verbindung zwischen Gehirn und Geist, respektive Qualia im Detail funktioniert. Gleichwohl lässt sich zeigen, welche Positionen vielversprechender sind als andere.
Es gibt sehr viele Autoren, die eindrückliche Argumente entwickelt haben, warum Bewusstsein und Qualia grundsätzlich von anderer Art sein müssen als Materie und warum sie sich einer naturwissenschaftlichen Erklärung ebenso grundsätzlich entziehen. Gleichwohl sind die meisten Naturwissenschaftler "unbelehrbar" und halten an einem Materialismus fest oder wie es Franz von Kutschera formuliert: "In meinen Arbeiten zum Leib-Seele-Problem habe ich mehrere Argumente angegeben, die den Materialismus widerlegen. Die Materialisten scheinen jedoch resistent gegenüber Argumenten zu sein." (Knaup 2011 S. 134, »externe Buchbesprechung; vgl. dazu auch die folgenden Buchbesprechungen: »Brigitte Falkenburg: Mythos Determinismus (2012); »Maxwell Bennett: Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften (2010))
Körper-Geist und Qualia-Problem in den Naturwissenschaften
Materialismus
Diese Resistenz gegenüber den vielen vorgebrachten Argumenten hat vor allem zwei Gründe: zum Einen gibt es mindestens ebenso starke Argumente, die gegen die Alternativen zum Materialismus sprechen und zum Anderen sind Naturwissenschaften wohl definitionsgemäss materialistisch (Bayertz: Materialismus und Naturalismus), was von Gegnern des Materialismus auch gerne betont wird: Naturwissenschaften mögen ganz gut darin sein, alles Materielle, respektive Körperliche zu untersuchen, für das Geistige des Körper-Geist Problems sind aber - geisteswissenschaftliche Disziplinen zuständig. Da es sich beim Körper-Geist Problem aber ja gerade um das Problem des Zusammenspiels von Körper und Geist handelt, stellt sich natürlich die Frage, ob dafür die Natur- oder die Geisteswissenschaften zuständig sein sollen.
Sind Geist und Qualia etwas grundsätzlich anderes als alles Körperliche, stellt sich das Problem wie beide interagieren können. Wie kann das Materielle auf das Immaterielle, wie das Immaterielle auf das Materielle einwirken, wenn es sich dabei um zwei nicht kompatible Systeme, um grundsätzlich verschiedene "Dinge" handelt? Wie kann das materielle Aspirin die immateriellen Kopfschmerzen lindern, wie der bewusste Gedanke die materiellen Finger bewegen, um diese Zeilen zu schreiben? Betrachtet man Materie und Immaterielles als Gegensätze, müsste diese Interaktion unmöglich sein. Es stellt sich deshalb terminologisch die Frage, ob man nicht besser einfach alles, was kausal interagieren kann als "materiell", respektive als "immateriell" bezeichnet.
Dies liegt nur schon deshalb nahe, da die Unterscheidung zwischen "materiell" und "immateriell" viel weniger klar ist, als es auf den ersten Blick erscheint. So schreibt John R. Searle, dass gemäss der cartesianischen Definition von Materie Elektronen etwas Immaterielles sein müssten (Searle 1996, S. 40). Kaum jemand wird allerdings bestreiten, dass Elektronen Gegenstand der Naturwissenschaften sind. Genauso klar scheint zu sein, dass Energie, Information oder Aggregatszustände nicht im klassischen Sinne materiell sind, gleichwohl aber zum Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften gehören.
Für den Materialismus ist also gar nicht der Unterschied zwischen Materiellem und Immateriellem zentral, sondern die Tatsache, dass Welt, Körper, Gehirn, Geist und Qualia direkt und kausal miteinander verbunden sind und deshalb zur selben "Substanz" gehören. Es gibt keine "immaterielle" Substanz wie beispielsweise eine Seele, zu welcher Geist und Qualia gehören, sondern Geist und Qualia haben sich evolutionär aus der materiellen Welt heraus entwickelt und existieren auch nicht ohne materiellen "Träger". Qualia mögen zwar von ganz anderer Art sein als alles bekannte Materielle, aber dieser Unterschied ist in einer Analogie eher so zu verstehen wie der Wechsel des Aggregatszustands von Wasser: Flüssiges Wasser ist von grundsätzlich anderer Art als Eis, es gibt aber eine direkte und kausale Verbindung zwischen den beiden "Arten", stets handelt es sich um etwas Materielles.
Physikalismus
Da der Begriff des Materialismus oft falsch verstanden wird, er die wahre Intention auch nicht wirklich trifft und der Begriff des Materialismus zudem metaphysisch negativ vorbelastet ist, wurde er oftmals ersetzt durch den Begriff des "Physikalismus": Alles, was existiert ist physisch, respektive lässt sich auf physische Eigenschaften zurückführen. Mit dieser Begriffsverschiebung wurde allerdings nicht viel gewonnen, im Gegenteil wurde stattdessen regelmässig der (relativ unklare) Begriff des Physischen durch jenen des "Physikalischen" ersetzt, was zu neuen Missverständnissen führte. Es ist in der Tat zweifelhaft, ob sich Qualia physikalisch erklären lassen. Der Begriff sollte allerdings vielmehr dem oben dargestellten Gedanken des Materialismus folgend den Begriff der Materie ersetzen. Da Geist und Qualia aber nicht nur nicht materiell, sondern zumindest im normalen Sprachgebrauch auch nicht physisch, sondern psychisch sind, wurde mit dieser Begriffsverschiebung nichts gewonnen (vgl. dazu auch Brüntrup: Über Physikalismus und Naturalismus).
Naturalismus
Um die Grundidee des Materialismus möglichst wertfrei zu umschreiben wird heute deshalb gerne der Begriff "Naturalismus" verwendet. Alles, was existiert, also auch Qualia, Geist und Bewusstsein, ist natürlich und hat eine evolutionäre, natürliche Basis. Es gibt nichts Übernatürliches, aber auch nichts Übersinnliches (»Gibt es Übersinnliches?), alles geht mit rechten Dingen zu und her. Es gibt nur eine "Substanz", unabhängig davon, ob man diese nun "Materie" oder "Physe" nennt, diese Substanz ist den Qualia aber in dem Sinne übergeordnet, als sie Qualia überdauert und Qualia nicht ohne sie existieren. Auch Qualia gehören demnach "genauso zu unserer biologischen Naturgeschichte wie Verdauung, Mitose, Meiose oder Enzymsekretion" (Searle 1996, S. 13), alles inklusive Bewusstsein lässt sich ohne Zuhilfenahme von Nicht- oder Übernatürlichem erklären.
Während der Materialismus leicht angreifbar ist, fällt dies beim Naturalismus schon schwerer. Selbst für Menschen, welche an Übernatürliches glauben, gehören Qualia und Bewusstsein in der Regel nicht zum Übernatürlichen. Da Naturalismus und Materialismus aber zumindest grösstenteils identisch sind, scheint es sich bei dieser Lösung um einen rhetorischen Trick zu handeln. Wie und ob der Materialismus/Physikalismus/Naturalismus das Körper-Geist Problem lösen kann, können Sie im Artikel »Löst der Materialismus das Körper-Geist Problem? nachlesen. Für den Materialismus spricht aber entgegen der Meinung von Herrn von Kutschera, der den Materialismus widerlegt zu haben glaubt vor allem auch, dass alle Alternativen zum Materialismus aus naturwissenschaftlicher Sicht entweder widerlegt oder zumindest nicht mit den Naturwissenschaften vereinbar sind.
Alternativen zum Materialismus/Physikalismus/Naturalismus
Leib-Seele Dualismus
Die bekannteste und am weitesten verbreitete Alternative zum Materialismus ist der Leib-Seele Dualismus. Gemäss diesem sind Geist und Qualia Teil einer immateriellen Seele. Sie sind dieser Vorstellung gemäss zudem nicht nur grundsätzlich verschieden von allem Materiellen, sondern können als Teil der Seele auch unabhängig von der Materie existieren.
Der Leib-Seele Dualismus kann heute allerdings als widerlegt gelten (»Leib-Seele Dualismus). Zum einen würde eine Seele, die komplett unabhängig von der materiellen Welt existiert gegen grundlegende Gesetze der Naturwissenschaften verstossen (z.B. Energieerhaltungssatz, kausale Geschlossenheit), zum anderen lässt sich ein Leib-Seele Dualismus mit dem hier erarbeiteten Begriff des Materialismus/Naturalismus logisch faktisch ausschliessen: Egal wie unterschiedlich Geist und Qualia auch von der materiellen Welt sein mögen, sind sie kausal mit dieser verbunden werden sie zur materiellen (natürlichen) Welt gezählt. Wirkt das materielle Aspirin auf die qualitativen Kopfschmerzen, ist der bewusste Gedanke kausale Ursache einer Handlung, dann kann es sich dabei nicht um zwei unterschiedliche "Substanzen" handeln. Einer solchen Definition gemäss würde ein Leib-Seele Dualismus bedeuten, dass Leib und Seele nicht interagieren können, wie im Abschnitt "Problem der Interaktion" im »Leib-Seele Dualismus-Artikel gezeigt wird. Ohne kausale Verbindung liesse sich aber nichts über die Seele wissen, handelte es sich dabei um etwas "Transzendentes" über das zum einen nur spekuliert werden könnte und das zum anderen keinen Einfluss auf die materielle Welt hätte.
Idealismus
Können Geist/Qualia und Körper interagieren (was kaum jemand bestreiten möchte), dann lassen sich entweder Qualia und Geist auf Materie zurückführen - oder Materie auf Qualia, auf etwas Geistiges. Genau dies entspricht der Vorstellung des Idealismus: es existiert nur Geist, nur was wir qualitativ bewusst wahrnehmen, die materielle Welt ist nur eine Konstruktion. Der Idealismus hatte seine Blütezeit im 19. Jahrhundert als Folge der Aufklärung, wo der individuelle Mensch im Zentrum stand. Er geht zu einem wesentlichen Teil auf die Transzendentalphilosophie Immanuel Kants zurück, die allerdings weder mit modernen Naturwissenschaften noch mit der Evolutionstheorie vereinbar ist (Kanitscheider: Kantianismus als Antagonismus zum Naturalismus). Dies erstaunt deshalb nicht, da die Evolutionstheorie 1859 veröffentlicht wurde, rund 80 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Kants Kritik der reinen Vernunft. Der Idealismus erfreut sich zwar noch heute in geisteswissenschaftlichen Kreisen, respektive bei "Novizen der Philosophie", wie Bernulf Kanitscheider etwas zynisch, aber durchaus korrekt schreibt (Kanitscheider 2007, S. 13f.) einer gewissen Beliebtheit, er kann aber ebenfalls als widerlegt gelten, wie im Artikel »Realismus oder Idealismus gezeigt wird.
Panpsychismus
Sind Geist und Qualia nicht kausale Folge der Welt (Materialismus), respektive ist die Materie nicht kausale Folge von Geist und Qualia (Idealismus) und existieren Geist/Qualia und materielle Welt nicht komplett voneinander unabhängig (Leib-Seele Dualismus), dann bleibt grundsätzlich nur noch eine Möglichkeit: Alles Materielle ist zugleich auch geistig, respektive qualitativ bewusst. Diese Vorstellung nennt man auch Panpsychismus. Es ist allerdings fraglich, ob es überhaupt Sinn ergibt davon zu sprechen, dass alles Materielle auch qualitativ bewusst ist. Schliesslich würde dies bedeuten, dass jedes Elektron, aber auch jedes Körperteil, jeder Stein, einfach alles über qualitatives Bewusstsein verfügen müsste. Der Begriff des Panpsychismus ist deshalb auch irreführend, da es nicht genügt, einfach allem Materiellen auch "psychische" Aspekte zuzuschreiben (was immer das auch ist), sondern alles Materielle müsste über qualitatives Bewusstsein verfügen. Die Unmöglichkeit des Panpsychismus wird zudem schnell klar, wenn man ihn begrifflich präzisiert: Mit dem "Psychischen" im Panpsychismus muss etwas grundsätzlich nicht Materielles gemeint sein, etwas Immaterielles. Das Materielle kann aber nicht zugleich materiell und immateriell sein - ohne dass sich dabei ein offener Widerspruch ergibt. Ein Panpsychismus kann deshalb sowohl empirisch (nicht alles ist qualitativ bewusst) als auch logisch (nicht alles Materielle kann zugleich auch nicht materiell sein) ausgeschlossen werden (»Panpsychismus).
Fazit
Beim Leib-Seele Problem handelt es sich um ein metaphysisches Problem, das heute als gelöst gelten kann: eine immaterielle Seele gibt es nicht, Geist und Qualia sind direkt abhängig von einem mit einem Körper und einer Welt verbundenen Gehirn. Beim Körper-Geist Problem geht es deshalb nur noch um die Frage, wie der Körper, respektive das Gehirn Geist und Qualia hervorbringt und nicht darum, ob das so ist. Betrachtet man dabei die verschiedenen Alternativen wird schnell klar, dass zu einem Materialismus (respektive einem Physikalismus oder Naturalismus) keine Alternative besteht. Es gibt zwar noch viele offene Fragen, mit dem Materialismus/Naturalismus lässt sich allerdings auch vieles erklären, wie im Artikel »Löst der Materialismus das Körper-Geist Problem? gezeigt wird.
Gegner des Materialismus wie der zitierte Franz von Kutschera, der den Materialismus längst widerlegt zu haben glaubt, werden sich mit diesem Fazit nicht zufrieden geben. Dies hat vor allem mit weltanschaulichen Gründen zu tun. So schreibt von Kutschera auf Seite 236 (in Knaup 2011): "Der Materialismus ist keine Konzeption von bloß akademischem Interesse, er hat vielmehr gravierende praktische Konsequenzen. Er entzieht dem menschlichen Selbstverständnis, auf dem die europäische Kultur aufbaute, die Grundlage." (Kutschera: Konsequenzen des Materialismus) Dabei geht es vor allem darum, dass klassische Vorstellungen von Willensfreiheit, aber auch die Vorstellung einer Seele mit einem Materialismus nicht vereinbar sind. Stimmt der Materialismus, dann sind die meisten religiösen und esoterischen Vorstellungen notwendigerweise falsch. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich mit dem Materialismus Nihilismus und Fatalismus ausbreiten müssten. Vielmehr lässt sich auf dem Materialismus eine neue humanistische Ethik und Moral, eine neue Kultur aufbauen, wie beispielsweise Michael Schmidt-Salomon in seinem Buch "Jenseits von gut und böse" (2009) oder Franz M. Wuketits in "Was Atheisten glauben" (2014) zeigen.