Trotz der Fähigkeit der selektiven Wahrnehmung (man nimmt nur Erfolge wahr und blendet Misserfolge aus), wird jeder Gläubige, jeder Alternativmediziner, Guru oder Priester immer mal wieder damit konfrontiert, dass Erfolge ausbleiben oder sich die Lage trotz intensiven Betens, trotz kontinuierlicher Anwendung des Heilverfahrens, trotz Einhalten aller Regeln etc. sogar verschlimmert. Dagegen gibt es eine einfache Verteidigungsstrategie: nicht der Guru, der Priester, Gott oder der Alternativmediziner sind Schuld daran, sondern – der Patient, respektive der Gläubige.

Religion

Besonders eindrücklich lässt sich dieser Mechanismus im religiösen Bereich beobachten. Während jeder noch so banale „Erfolg“ als Beweis für den eigenen Gott herhält (die Geburt eines Babies? Ein Zeichen der Gnade Gottes!), werden Misserfolge mit fehlendem Glauben oder Verstoss gegen Gebote erklärt. Dieser Argumentation gemäss, waren Juden selbst schuld am Holocaust, da sie zu wenig gottesfürchtig gewesen und deshalb zu Recht von Gott bestraft worden seien. Gibt es ein paar Dürrejahre, ist das selbstverständlich eine Strafe Gottes für fehlenden Glauben, regnet es dann wieder, ist das ein Beweis für die Güte Gottes. Regnet es aber zu lange und kommt es zu schlimmen Überschwemmungen... Wahrhaft Gläubige lassen den Einwand natürlich nicht gelten, dass auch in Regionen mit besonders streng Gläubigen Katastrophen geschehen. Denn gegen Gebote verstösst jeder und der Glaube an Gott kann nie intensiv genug sein...

Alternativmedizin

Alternativmedizinische Präparate haben angeblich keine negativen Eigenschaften, keine Nebenwirkungen, die "feinstofflichen" Heilkräfte können ausschliesslich heilen. Funktioniert eine Therapie also nicht wie erhofft, ist wohl schwarze Magie im Spiel - oder der Patient ist Schuld am "Scheitern". So gibt es beispielsweise viele Vorschriften, welche in Zusammenhang mit homöopathischen Präparaten eingehalten werden müssen. So muss das Präparat vielleicht immer vor dem Essen eingenommen werden oder müssen gewisse Diäten eingehalten werden. Wirkt das Präparat nicht, lässt sich dies leicht damit erklären, dass der Patient gegen irgendeine solche Vorschrift verstossen hat. Ist dies nicht der Fall, werden einfach neue Vorschriften bekannt gegeben: so hat sich der Patient vielleicht als besonders „feinfühlig“ herausgestellt, weshalb besondere Vorsicht geboten ist und noch weitere Vorschriften befolgt werden müssten, welche normalerweise nicht notwendig seien. Irgendwann existieren so viele Vorschriften, dass es unmöglich ist, alle einzuhalten. Kommt es dann nicht zu einer Besserung der Symptome, ist die Erklärung einfach, kommt es nach Monaten dann doch zu einer Besserung – hat das Präparat endlich seine Wirkung „entfaltet“.

Nützt dies alles nicht, könnte es auch daran liegen, dass der Patient in der Anamnese wichtige Dinge (womöglich böswillig!) verschwiegen hat oder sich wichtiger Dinge vielleicht nicht bewusst ist. Um dies abzuklären wird er zum Kollegen, zur Kollegin überwiesen, um beispielsweise in einer Reinkarnationstherapie oder mit Hilfe von Kinesiologie herauszufinden, ob vielleicht Sünden aus früheren Leben für die aktuelle Erkrankung verantwortlich sein könnten. Wer mit schweren chronischen Schmerzen konfrontiert ist, war womöglich in einem früheren Leben Dschingis Khan oder ein Folterknecht und deshalb muss die Therapie natürlich angepasst werden, da sie bisher auf einen „normalen“ Menschen zugeschnitten war. Der Depressive wiederum wurde vielleicht „pränatal vergewaltigt“ oder wurde in den ersten drei Lebensjahren sexuell missbraucht, weshalb er sich nicht mehr daran erinnern kann, aber... Hauptsache, die Erklärung „ergibt Sinn“ - und ist nicht überprüfbar. (»aber es passt)