Ob Philosoph oder Esoterikerin, es gibt Menschen, die es fast perfekt beherrschen, vielsagend nichts zu sagen. Während die einen mit Hilfe von möglichst vielen komplizierten Fachbegriffen zu verschleiern versuchen, dass sie eigentlich nicht viel zu sagen haben, beherrschen es andere auch ohne Hilfsmittel das eigene Ungenügen zu übertünchen.

Pseudotiefgründigkeit gaukelt Weisheit vor, wo im besten Fall nichts ist. Pseudotiefgründige Aussagen machen aber oftmals grossen Eindruck und lassen Leute an absurde Dinge glauben, einen Menschen als „Meister“, „Guru“ oder „Philosoph“ dastehen, obwohl er es einfach beherrscht, seine Gedanken mit viel Rauch zu umhüllen.

Mehrdeutigkeit

Pseudotiefgründige Aussagen sind oftmals mehrdeutig und unklar formuliert. Dies führt dazu, dass jeder dasjenige hineininterpretiert, was ihm besonders „tiefgründig“ erscheint. Gelingt es, einer solchen Aussage einen Sinn zu entlocken, führt dies zudem oftmals dazu, dass sich ein Stolz-Gefühl erhebt, dass man selbst den Text verstanden hat – auch wenn die Aussage des Textes eine ganz andere oder eben keine Wirkliche ist.

„Komplexität“

Pseudotiefgründige Aussagen werden gerne mit der unglaublichen Komplexität der Materie begründet. Um dem Vorwurf der Vereinfachung zu entgehen, liesse sich die Sache nicht einfacher erklären. Zumeist ist aber fehlende Verständlichkeit bewusst eingesetzte Strategie oder ein Zeichen für fehlendes Verständnis. Insbesondere wenn es sich dabei nicht um komplizierte, schwer vorstellbare mathematische oder physikalische Probleme handelt, sondern um philosophische oder religiöse „Weisheiten“.

Sinnlosigkeit

Pseudotiefgründige Aussagen sind oftmals widersprüchlich (und damit streng genommen gar keine Aussagen) oder mehrdeutig, so dass sie auf den ersten Blick nicht verstanden werden können. Dies regt zum Nachdenken an und weil man die Aussage nicht versteht, kann der Eindruck entstehen, dass nicht die Aussage sinnlos, sondern dass man selbst zu „dumm“ ist, um die Aussage zu verstehen. Begründet wird die angeblich nur scheinbare Sinnlosigkeit gerne damit, dass nur Paradoxien etwas über die unverdeckte Realität aussagen würden und nur der Weise die wirkliche Tiefgründigkeit verstehen würde. Verstärkt wird der Effekt dadurch, dass Alltagssituationen oder Vergleiche verwendet werden, wo sich (fast) jeder angesprochen fühlt und die „Geheimnisse“ enthalten, deren Auflösung einen sehr interessieren würde.

Nur für Eingeweihte...

Besonders effektiv ist das Verwenden von Begriffen, welche nur Eingeweihte verstehen. Was „feinstoffliche Schwingungen“ oder „Energien“ sind, braucht nicht weiter erläutert zu werden, da sie der Pseudotiefgründige ja selbst fühlt. Wer dies nicht tut, zeigt damit nur, dass er nicht zu den Esoterikern (den „Eingeweihten“) und deshalb nicht zum erlauchten Zirkel gehört. Gleichwohl scheint auch für den nicht Eingeweihten klar zu sein, was „Energien“ sind, wobei sich die Sprache der Esoteriker faszinierenderweise anpasst: in den 70er Jahren wurde meist von „Energien“ gesprochen, im Computerzeitalter der 80er und 90er immer mehr von „Information“ und inzwischen werden besonders gerne „Quanten“ bemüht.

Verweis auf Autoritäten

Dieser Bezug zu den ansonsten gerne verteufelten Naturwissenschaften soll den esoterischen Ideen mehr Glaubwürdigkeit und Autorität verleihen. Gerne wird betont, dass auch Einstein ein „Esoteriker“ oder „Religiöser“ gewesen sei, da er sich wie (fast) alle "grossen" Physiker und Philosophen mit Gott beschäftigt habe und gläubig gewesen sei...Als Beleg werden gerne Zitate verwendet, die oftmals aus dem Zusammenhang gerissen werden oder nicht mit anderen Aussagen der Autorität übereinstimmen. Selbstverständlich gab es aber auch viele Physiker und Philosophen, die gläubig waren. Es gab und gibt aber auch viele Physiker und Philosophen, die sich irren.

Manchmal wird aber auch genau das Gegenteil gemacht. Es werden absurde Zitate von irgendwelchen Autoritäten angeführt, um damit die Wissenschaft als Ganzes zu diskreditieren. Es wird also vom Einzelfall auf das Allgemeine geschlossen – was im Gegenzug für sämtliche Bereiche des Paranormalen keine Geltung habe. (Quote-Mining)

(Fast) sämtliche Verweise auf Autoritäten der Naturwissenschaften, egal ob auf Personen oder Theorien, sind oft haarsträubenderweise falsch. Wenn schon ist es eher umgekehrt, dass manche aktuelle physikalische Theorien von esoterischem Geist beeinflusst und deshalb falsch sind (»Quantenphysik und Esoterik).

Als Autorität werden gerne auch Philosophen wie Kant, Hegel, Nietzsche, Heidegger, Wittgenstein oder Derrida verwendet, welche zum Teil selbst zur Pseudotiefgründigkeit neigen. So ist Kants „Ding an sich“ ein letztendlich absurdes und widersprüchliches Hilfskonstrukt, weiss wohl keiner, was sich unter Hegels Weltgeist wirklich verbergen soll, hat Nietzsche immer mal wieder am Wahnsinn geschrammt, neigen Heideggers Sprachspiele regelmässig in Richtung Irrsinn, erklären Wittgensteins Aphorismen aus dem Zusammenhang gerissen fast jede denkbare Situation, sind Derridas kritische dekonstruktivistische, postmoderne, poststrukturalistische Erzählungen zumindest immer mal wieder für ein Zitat gut. Wobei der Autor dieser Zeilen mit dieser Zusammenstellung natürlich nur zeigt, dass er nichts verstanden hat.... Was durchaus sein könnte – weshalb man dann doch lieber nicht an jenen zweifelt, welche Pseudotiefgründiges verbreiten, sondern an sich selbst, welcher dies halt einfach nicht versteht.

Der Verweis auf eine Autorität wird gerne gleichgestzt mit einem "Beweis". Pythagoras war ein weiser Mann und zugleich der Erfinder der Numerologie – was dahingehend ausgelegt wird, dass die Numerologie stimmen muss. Problematisch wird diese Argumentationsweise natürlich dann, wenn eine mindestens genauso grosse Autorität das Gegenteil behauptet...

In vielen esoterischen und religiösen Kreisen gelten "alte" Autoritäten mehr als neue Erkenntnisse - denn die "Weisen" wussten schon damals... Also muss es ja stimmen!

Mit Autorität vorgetragen...

Was mit grosser (gespielter oder echter) Überzeugung vorgetragen wird, wirkt glaubhafter. Hat ein Mönch zwanzig Jahre lang meditiert und gibt seine (Pseudo-) Tiefgründigkeiten als Erkenntnis dieses Prozesses aus, wirkt er unabhängig davon, was er sagt, sehr glaubwürdig. Ein angebliches Medium, welches angeblich aus der Aura Dinge herauslesen konnte, welche sie angeblich unmöglich wissen konnte (und wobei es sich oftmals um Pseudotiefgründiges handelt...), erhält eine Autorität, welche sie dann missbrauchen kann, um „Weisheiten“ zu vermitteln.

Menschen, die zu Pseudotiefgründigkeit neigen, tendieren dazu, sich selbst zu ernst zu nehmen und wirklich daran zu glauben, was sie sagen. Dies führt dazu, dass sie tatsächlich ohne irgendwelche Selbstzweifel die absurdesten Theorien formulieren und das mit einer inneren Überzeugung, die dem Gesagten eine grosse Autorität verleihen kann. Wird das Gesagte in Frage gestellt, wird gerne behauptet, dass der Zweifler das nicht verstehen könne, da er spirituell zu wenig weit entwickelt sei, um nicht sagen zu müssen, dass er schlicht zu dumm sei. Im Ernstfall wird einfach mit einem Schwall von Unverständlichem geantwortet – womit jede Diskussion zu Ende ist und bei manchen Menschen noch grössere Ehrfurcht entsteht.

Behaupten und Begründen

Behaupten ist also in vielen Fällen eine gute Strategie, sofern es mit genügend Überzeugungskraft getan wird und nicht ohne Aufwand überprüft werden kann. Besonders effektiv sind Behauptungen, wenn sie zudem begründet werden. Dabei spielt es gar oft gar nicht so eine grosse Rolle, ob die Begründungen stimmen oder nicht - wer seine Aussagen begründet tönt bereits sehr intellektuell, auch wenn die Begründung hanebüchen ist. Noch effektiver ist es, zu behaupten, dass die Begründung wissenschaftlich zweifelsfrei erfolgt sei - auch wenn das offensichtlich nicht stimmen kann, wie in diesem Zitat: Arndt: Wasserinformation.

Zen

Pseudotiefgründigkeit geht oft einher mit sinnlosen Aussagen. So wagt es kaum jemand widersprüchliche Zen-Koans anzuzweifeln, welche aus logischer Perspektive schlicht und einfach sinnlos sind. Denn der wahre Zen-Meister steht offensichtlich „über“ der Logik, ja er hat diese geradezu „spirituell“ überwunden. Diese „höheren“ Wahrheiten erhalten ihre Glaubwürdigkeit durch die oft jahrzehntelange Praxis des Meisters. Wer sich so lange so intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt hat und alles getan hat, um den (logischen!) Denkfluss zu unterbrechen, muss ja schliesslich irgendwann zum Kern des Wesens des Universums durchdringen. Da ist es doch nur naheliegend, dass „dort“ die Gesetze der Logik nicht mehr gälten – denn gerade religiöse, spirituelle, „tiefere“ Wahrheiten sollen sich dadurch auszeichnen, dass sie auf einer „höheren“ Stufe stünden. Einem reinen Logiker blieben diese natürlich verschlossen. Denn die „wahre Wahrheit“ steht natürlich auch über dem Widerspruch, denn es handelt sich dabei um eine „göttliche Wahrheit“ - was immer das sein soll.

Durch die Erhöhung von Widersprüchen zu angeblich besonders sinnvollen Aussagen lassen sich die schwierigsten Probleme lösen und lässt sich gut gegen das wissenschaftliche Denken „lästern“. Während die Philosophie seit über 2000 Jahren Widersprüche aufzulösen versucht, handelt es sich dabei angeblich um den falschen Weg, denn der Widerspruch soll die Lösung sein! Der Mensch ist also zugleich absolut frei und absolut determiniert (=unfrei), Gott allmächtig und allgütig, obwohl es Böses auf der Welt gibt, ist dieser Teilsatz falsch. Frieden bedeutet Krieg, Armut Wohlstand, der Tod das Leben – und wer das nicht versteht zeigt nur, dass er noch nicht weise genug dafür ist.

Sokrates

Ein besonders bekannter pseudotiefgründiger Spruch ist der fälschlicherweise (!) Sokrates zugeschriebene Ausspruch „ich weiss, dass ich nichts weiss“. Es braucht beinahe Mut, um offen dazu zu stehen, dass dieser Satz nicht eine tiefe Wahrheit ausdrückt, sondern schlicht sinnlos ist, doch ist er dies zweifelsohne. Ironischerweise findet er sich aber auch nirgends in Platons Werken, den einzigen Überlieferungen von Sokratischen Gedanken.

Frithjof Schuon

Frithjof Schuon ist ein leidlich bekannter "Religionsphilosoph" und Metaphysiker. Auszüge seiner Schriften zeigen aber die Problematik rund um die Pseudotiefgründigkeit: gerade wenn Texte eine gewisse Komplexität erreichen, stellt sich immer die Frage, ob sie wirklich so tiefgründig sind, dass man sie nicht mehr richtig versteht oder ob es sich dabei um Pseudotiefgründigkeit handelt. Entscheiden Sie selbst beim Lesen der folgenden Zeilen mit denen er sein Buch "Esoterik als Grundsatz und Weg" beginnt (S. 18):

"Die Esoterik verstehen. - Das Vorrecht des menschlichen Zustands ist die Objektivität, deren wesentlicher Gehalt das Unbedingte ist. Es gibt keine Erkenntnis ohne Objektivität des Geistes; es gibt keine Freiheit ohne Objektivität des Willens; und es gibt keinen Adel ohne Objektivität der Seele. In jedem dieser drei Bereiche geht es sowohl um eine horizontale als auch um eine vertikale Objektivität; das Subjekt, sei es erkennend, wollend oder fühlend, hat notwendigerweise sowohl das Kontingente als auch das Absolute im Blick: das Kontingente, weil das Subjekt selbst kontingent ist und in dem Maße, wie es das ist, und das Absolute, weil das Subjekt am Absoluten teilhat durch sein Vermögen zur Objektivität.

Die Esoterik strebt mit ihren Auslegungen, mit ihren Erkenntnissen und mit ihren Verfahren der Verinnerlichung und der Verwesentlichung nach reiner und unmittelbarer Objektivität; das ist ihr Daseinsgrund. Objektivität berücksichtigt sowohl die Immanenz als auch die Transzendenz; sie ist Auslöschung und Wiedereingliederung zugleich. Sie ist nichts anderes als die Wahrheit, in der Subjekt und Objekt zusammenfallen, und in der das Wesentliche Vorrang hat vor dem Zufälligen – oder in der der Urgrund Vorrang hat vor seiner Kundgabe –, entweder indem dieses ausgelöscht oder wieder eingegliedert wird, in Abhängigkeit von den verschiedenen seinsmäßigen Gesichtspunkten der Bedingtheit."