Darwin hatte seine Entdeckungen 1859 veröffentlicht und es dauerte einige Zeit, bis man die Evolutionstheorie einigermassen verstanden hatte. Doch schon kurz nach der Veröffentlichung gab es verschiedene Forscher, die die Evolutionstheorie verstanden zu haben glaubten und fatal falsche Schlüsse aus ihr zogen.

Diese Forscher erhielten im 20. Jahrhundert den Namen »Sozialdarwinisten«, ein Begriff, der eigentlich abschätzig gemeint war. Beim Sozialdarwinismus handelt es sich um eine Verbindung von zum Teil absurden Ideen, die sich scheinbar auf die Evolutionstheorie zurückführen lassen. Im Gegenteil zu dieser ist der Sozialdarwinismus aber keineswegs wissenschaftlich, auch wenn die Sozialdarwinisten selbst davon überzeugt waren, dass er es sei. 

Der Sozialdarwinismus bezieht sich auf den Menschen

Die Evolutionstheorie bezieht sich auf alles Leben, im Prinzip auf alles, was jemals existiert hat und existiert, da sich gemäss der Evolutionstheorie das Leben aus unbelebter Materie entwickelt hat. Sozialdarwinisten wandten die Evolutionstheorie nun auf den Menschen an und versuchten aus ihr politische Forderungen abzuleiten. 

Der Sozialdarwinismus ist aktiv

Die Evolutionstheorie beschreibt nur, wie sich die unterschiedlichen Lebewesen, Rassen und Arten über die Jahrmillionen entwickelt haben. Sie ist rein deskriptiv (=beschreibend) und bezieht sich auf Gegenwart und Vergangenheit.

Die Sozialdarwinisten forderten dagegen ein aktives Eingreifen des Menschen in die Evolution. Dem Kampf ums Dasein, dem Überlebenskampf, dem »Survival« dürfe der Mensch sich nicht einfach passiv ergeben, sondern er müsse aktiv daran arbeiten, zu den Überlebensfähigen zu gehören.

Der Sozialdarwinismus ist normativ

Mit dem aktiven Eingreifen in die Evolution verfolgen Sozialdarwinisten ein Ziel. Sie stellen Regeln auf, wie die Welt sich entwickeln und wie die Zukunft sein soll. Regeln sind Normen, weshalb man dieses Vorgehen auch »normativ«, »vorschreibend« nennt. 

Der Sozialdarwinismus ist wertend

Eine solche Norm lautete beispielsweise, dass die Menschheit verbessert werden müsse, um im Überlebenskampf bessere Karten zu haben. Die Sozialdarwinisten mussten also einen Weg finden, um zu bestimmen, welche Eigenschaften zur Verbesserung der Menschheit beitragen könnten. 

Während die Natur einfach jene »ausliest«, die »fit« im Sinne von angepasst oder anpassungsfähig sind, waren die Sozialdarwinisten der Überzeugung, dass »fit« mit »stark« oder »gut« übersetzt werden müsse. Die »guten« Eigenschaften müssten möglichst gezüchtet und die »schlechten« Eigenschaften unterdrückt werden. Das Problem bestand dabei darin, wie man »gut« und »schlecht« unterscheiden sollte, wie man diese Wertung zwischen »besseren« und »schlechteren« Menschen begründen könnte. 

Bei Individuen schien die Sache klar zu sein. Behinderte oder kranke Menschen waren gemäss der Vorstellungen der Sozialdarwinisten »unfit«, muskulöse Männer und schöne Frauen dagegen »fit«, ein Denken, das zur Eugenik führte. 

Der Sozialdarwinismus ist eugenisch

Unter Eugenik versteht man eine Theorie, deren Ziel es ist »gute« menschliche Eigenschaften mittels »Zucht« zu fördern (= positive Eugenik) und negative Eigenschaften zu unterbinden (= negative Eugenik). Eugeniker forderten deshalb beispielsweise die Sterilisierung von Behinderten oder dass nur »erbgesunde« Menschen miteinander Kinder haben durften. So sollte sicher gestellt werden, dass die Menschheit sich mittel- bis langfristig »verbessere« und gestärkt werde im Kampf ums Dasein. 

Der Sozialdarwinismus ist rassistisch

Den Sozialdarwinisten ging es aber nicht nur um Individuen, sondern sie waren auch der Überzeugung, dass es unterschiedliche menschliche Rassen gebe, zwischen denen ein »Kampf ums Dasein« herrsche. Mit grosser Energie versuchten sie Wege zu finden, um Menschenrassen voneinander zu unterscheiden, was sich aber als nicht so einfach herausstellte.

Der Sozialdarwinismus basiert auf einem falschen »Baum des Lebens«

Der sozialdarwinistische Rassismus war geprägt von einem falsch verstandenen Baum des Lebens: wenn der Mensch »vom Affen abstammt«, erschien es nur logisch, dass einige Menschen »weiterentwickelt« wären, andere sich allerdings erst wenig vom Affen entfernt hätten. Und dies, so solche Rassentheoretiker, sehe man ja auch optisch: Schwarzafrikaner mit ihrer dunklen Haut sähen deshalb nicht nur aus wie Affen, sondern seien auch noch »Halbaffen« und nicht auf der gleichen »Stufe« wie die »weisse« Rasse. Dies zeige sich nur schon daran, dass die Weissen technologisch führend seien und über eine »höhere«, komplexere Zivilisation verfügten. Um die Menschheit als Ganzes zu stärken, sei es deshalb ihre Pflicht, »starke« Rassen unter anderem mittels Eugenik zu stärken und »schwache« Rassen auszubeuten, auszurotten - oder ihnen die »Zivilisation« zu bringen, um sie so zu »verbessern«.

Auch hier unterlagen die Sozialdarwinisten allerdings einer Täuschung: denn gemäss der Evolutionstheorie sind alle Menschen genau gleich weit entfernt vom Ursprung, stammt der Mensch nicht vom Affen ab - sondern hat einen gemeinsamen Vorfahren. Der »richtige« Baum des Lebens ist deshalb auch nicht wirklich ein Baum - sondern eher ein "Busch" des Lebens (Arte: Die wunderbare Artenvielfalt), bei welchem alle heute lebenden Lebewesen genau gleich weit entfernt sind von der Mitte.