"Unserer Intuition folgend neigen wir zu der Annahme, daß es im Gehirn ein Zentrum geben müsse, in dem die Signale der verschiedenen Sinnesorgane konvergieren, mit gespeicherten Inhalten verglichen und nach erfolgter Deutung in Handlungsentwürfe umgesetzt werden. Descartes hat dieses so überaus plausible Postulat graphisch formuliert (Abb.1). Signale von verschiedenen Sinnesorganen sollten nach entsprechender Vorverarbeitung an einem einzigen Ort zusammengeführt und einer ganzheitlichen Interpretation unterworfen werden. Naturgemäß wäre dieses Konvergenzzentrum auch der Ort, wo Entscheidungen gefällt werden und wo das Bewußtsein residiert. Die implizite Annahme ist, daß an diesem Ort ein, vermutlich immaterieller, mit mentalen Eigenschaften ausgestatteter Beobachter die einlaufenden Informationen sammelt und adäquat interpretiert. Auch wenn der philosophische Schulenstreit darüber nach wie vor recht lebhaft ist, welcher ontologischen Kategorie dieser Beobachter zuzuschlagen sei und ob er überhaupt postuliert werden muß, kamen bis vor kurzem kaum Zweifel auf ob der Notwendigkeit eines Konvergenzzentrums. Erst die Ergebnisse neurobiologischer Nachforschungen haben uns gezwungen an der Richtigkeit unserer Intuition zu zweifeln. Die plausible Annahme eines Konvergenzzentrums, eines Cartesianischen Theaters mit einem singulären Zuschauer, ist in dramatischer Weise falsch."

Singer 2002, S. 144.