Viele Menschen sind der Überzeugung, dass zwischen Himmel und Erde noch "mehr" existiert, das sich zwar nicht wissenschaftlich erklären, aber mit "alternativen" Methoden erfassen lässt. So wird etwa angenommen, dass „hinter“ oder „über“ der physischen Welt noch eine "nichtphysische", „spirituelle“, „mystische“, „höhere“, „jenseitige“, „transzendente“ Welt liegen müsse, mit welcher sich all dies erklären lasse, wo die Wissenschaften scheiterten.

Menschen, welche das (noch) nicht Erklärbare oder (scheinbar) Unerklärbare mit der Hilfe von spekulativen, nicht weiter spezifierten „höheren Sphären“ zu erklären versuchen, spielen mit der Mysterienkarte. Problematisch dabei ist, dass mit der Mysterienkarte alles und nichts erklärt werden kann und sie oftmals als Schutzschild verwendet wird, um eine wissenschaftliche Argumentationsweise in Frage zu stellen oder nicht näher darauf eingehen zu müssen.

Die Mysterienkarte als Joker

Gegen die Mysterienkarte hat man kaum eine Chance, es handelt sich dabei um eine Art Joker. Denn für viele Menschen ist es schlicht zu offensichtlich, dass es noch "mehr zwischen Himmel und Erde" geben muss. Wer dies in Frage stellt wird schon gar nicht mehr ernst genommen, zudem lassen sich leicht einige Beispiele finden, die angeblich beweisen, dass es Unerklärbares, also "Mysterisches" geben muss, die in einem kurzen Disput gar nicht entkräftet werden können. Wird die Mysterienkarte als Joker gespielt, erübrigt sich meist jede weitere Diskussion. Für den Spieler der Mysterienkarte sticht diese immer und können damit alle Einwände entkräftet werden. Ob mit Gott oder feinstofflichen Kräften - mit dem Mysterischen lässt sich alles erklären.

Zwei Spielweisen der Mysterienkarte

Manche Menschen, die die Mysterienkarte spielen, tun dies bewusst und mit Absicht, um sich über jemand anders zu stellen oder auf gegnerische Behauptungen nicht näher eingehen zu müssen. Sie spielen die Mysterienkarte also berechnend aus, um die Schwächen der eigenen Argumentation zu verschleiern und nutzen sie als (perfide) Argumentationsstrategie.

Die meisten Menschen spielen die Mysterienkarte aber aus innerster Überzeugung. Sie sind sich sicher, dass sich vieles auf der Welt tatsächlich nicht wissenschaftlich oder normal erklären lässt und dass die Welt durch paranormale oder parawissenschaftliche Erklärungsversuche besser verstanden werden kann. Für viele Menschen scheint es unvorstellbar, dass die Welt ohne Schöpfer oder personifizierten Gott existieren kann. Viele haben auch Erlebnisse, welche zumindest sie selbst nicht auf natürliche Weise erklären können und die so erscheinen, als ob sie grundsätzlich höchstens „übernatürlich“ erklärt werden können.

Das Mysterium ist exklusiv

Das Ausspielen der Mysterienkarte geht oft Hand in Hand mit der Bemerkung, dass die ausspielende Person eben besonders feinfühlig oder spirituell sei und deshalb der Kontrahent, insbesondere wenn er sich als Wissenschaftler zu erkennen gibt, diese „mystische Welt“ nicht „spüren“ oder wahrnehmen könne. Jegliche Zweifel an den eigenen besonderen Fähigkeiten werden gerne mit dem Argument abgetan, dass es sich dabei um eine unumstössliche subjektive Gewissheit handle (»ich weiss es einfach) oder die Erklärung zu gut passe, um in Zweifel gezogen werden zu können (»aber es passt...).

Während das Phänomen oftmals für die betreffende Person sehr real ist (z.B. das Gefühl mit einem Verstorbenen zu reden oder über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen), stellt sich die Frage, ob die Erklärung oder Interpretation des Erlebten korrekt ist. Was für den einen unerklärbar oder ein mystisches Erlebnis ist, ist für den anderen keinen Gedanken wert oder wird beispielsweise mit einem Adrenalinschub erklärt. Denn nur weil sich das Mysterium für eine Person nicht erklären lässt, bedeutet das noch lange nicht, dass es nicht (wissenschaftlich) erklärbar ist – wie jeder gute Magier leicht beweisen kann (»aber es passt...).

Paranormale Erklärungen für das Mysterische

Viele Menschen, welche die Mysterienkarte ausspielen versuchen dem Mystischen aber auch das Mystische zu nehmen, indem sie nicht einfach von unerklärbaren „Wundern“ sprechen, sondern beispielsweise von feinstofflichen Schwingungen, mit welchen sich die Phänomene erklären liessen. Diese „Schwingungen“ oder „Energien“ würden zweifelsohne existieren, bloss liessen sie sich mit „grobstofflichen“ physikalischen Messinstrumente (noch) nicht erfassen.

Die „alternativen“ Erklärungen haken meist daran, dass sich mit ihnen (fast) alles erklären lässt. Vorgebrachte „feinstoffliche Schwingungen“ oder „Energien“, „geistige Kräfte“ oder das asiatische „Qi“ müssten über Eigenschaften verfügen, welche sämtlichen wissenschaftlichen Prinzipien entgegenliefen und deshalb auch niemals mit Quantenmechanik oder ähnlichem erklärt werden könnten. Sie haben letztendlich auch keinerlei Fundierung, sondern sind reine Spekulationen und Hilfsannahmen, um das scheinbar Unmögliche zu erklären.

Zudem gibt es inzwischen nur noch wenige Fragen, welche sich nicht prinzipiell wissenschaftlich erklären lassen (»Die wichtigsten Einwände gegen die Wissenschaft). So ist zwar beispielsweise noch ungeklärt, wie Bewusstsein entsteht und was Bewusstsein ist, doch lässt sich leicht zeigen, dass diese Frage auf natürliche Art und Weise erklärbar sein muss und dass Bewussstsein letztendlich direkt vom Hirn (und vom Körper) abhängig ist. (»Alva Noë: Du bist nicht dein Gehirn) Aus weltanschaulichen Gründen wird eine solche Erklärung aber oftmals abgelehnt, da dies auch bedeutet, dass es beispielsweise kein „Jenseits“ geben kann oder dass der Mensch viel weniger autonom ist, als er es in seinem Selbstbild gerne wäre (»Willensfreiheit).

Angeblich "normale" Erklärungen für das Mysterische

Um das „Paranormale“ zu erklären wird gerne auch auf die Quantenmechanik verwiesen, mit welcher vielleicht schon demnächst die mysterischen Befunde bewiesen werden könnten. Dies ist jedoch offensichtlich falsch, wie im Artikel »Quantenphysik und Esoterik näher gezeigt wird.

Ironischerweise wehren sich Menschen, die von „feinstofflichen Energien“ oder Ähnlichem reden gerne gegen „normale“ oder wissenschaftliche Erklärungen ihrer Spekulationen. Denn vieles, was dem Menschen unerklärlich erscheint, ist dies heute nicht mehr. So lässt sich beispielsweise noch so sehr betonen, dass sich die „Erfolge“ der Homöopathie problemlos auf normale, nicht mysteriöse Weise erklären lassen (»Wie wirkt Alternativmedizin), wer an das Mysterium glauben will, der tut es auch.

Natürliche Erklärungen für das Mysterische

Die Vorstellung, dass es noch „mehr zwischen Himmel und Erde“ geben müsse basiert meist auf überkommenen Weltbildern. Um subjektiv Unerklärbares zu erklären, wurden vor langer Zeit Geister und Götter geschaffen, werden in neuerer Zeit paranormale „Energien“ und „Schwingungen“ bemüht. Für viele Menschen ist es schlicht undenkbar, dass sich Gott oder Bewusstsein, der Ausschlag der Wünschelrute oder die Kommunikation mit Verstorbenen, dass sich spirituelle oder religiöse Erfahrungen prinzipiell wissenschaftlich erklären lassen, da dies nicht mit ihrem Weltbild in Übereinstimmung gebracht werden kann.

Die Phänomene, die mit der Mysterienkarte erklärt werden sollen, lassen sich meist grundsätzlich nicht wissenschaftlich erfassen und sind weder beweis-, noch widerleg-, noch nachweisbar. Bislang sind sämtliche Versuche gescheitert, „paranormale“ Phänomene unter kontrolliert-wissenschaftlichen Bedingungen zu reproduzieren (GWUP). Für die Existenz von etwas Mystischem gibt es unabhängig von subjektiven Erlebnissen und Erklärungen keine Beweise. Im Gegenteil lassen sich die meisten „übernatürlichen“ Phänomene bei nüchterner Betrachtung problemlos auf „normale“ Art und Weise erklären – sofern die Möglichkeit besteht, das Phänomen einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Das "Mystische" oder "Mysterische" existiert also durchaus, hat aber nichts mit etwas Übernatürlichem zu tun, sondern mehr mit Psychologie und erstaunlichen physikalischen Effekten. (Vgl. auch Richard Wiseman. Paranormalität: Warum wir Dinge sehen, die es nicht gibt. Fischer 2012.)

Gegen die Existenz dessen, was mit der Mysterienkarte behauptet wird sprechen aber nicht nur die fehlenden Belege, sondern auch philosophische Probleme. Die meisten "Mysterien" setzen einen »Leib-Seele Dualismus voraus, der faktisch ausgeschlossen werden kann und sind nicht vereinbar mit grundlegenden Gesetzen der Physik wie dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Die reale Existenz des "Mysterischen" würde deshalb bedeuten, dass der Physik das Fundament entzogen würde und nicht nur Teilbereiche, sondern faktisch die ganze Physik falsch wäre. Die behaupteten Effekte sind für einen solchen Schritt aber eindeutig zu wenig gut belegt.

Gegenstrategien

Gerne lässt man sich einschüchtern, wenn der Kontrahent mit der grössten Selbstverständlichkeit behauptet, dass es ja klar sei, dass es noch „mehr“ geben müsse und vielleicht noch rhetorisch fragt, ob man selbst etwa "Positivist", "Atheist" "Materialist" oder "Naturalist" sei. Gibt man sich als solchen zu erkennen, hat man scheinbar bereits verloren, weil man damit für den Kontrahenten faktisch abgeschrieben ist. Das Übernatürliche ist für ihn meist derart selbstverständlich und unbezweifelbar, dass er für einen Wissenschaftler höchstens Mitleid oder Spott übrig hat (was ja meist gegenseitig ist...).

Es ist deshalb sinnvoll, bei einem solchen „Vorwurf“ (der früher oder später oftmals kommt) mit Selbstsicherheit dazu zu stehen und gleich damit zu kontern, ob der Kontrahent beispielsweise ernsthaft an einen Gott glaube, welcher Wunder wirken könne. Ob er denn irgendwelche Hinweise oder Beweise hätte, warum seine „feinstofflichen Energien“ die korrekte Erklärung sein sollten oder ob es sich dabei alleine um eine Spekulation handle, ob es sich dabei nicht auch um subjektive Erlebnisse handeln könne, welche sich auch ganz „normal“ erklären liessen etc. Es sollte versucht werden, die Beweislast umzukehren und zu betonen, dass die Beweislast beim Kontrahenten liege und das Ausspielen der Mysterienkarte bloss ein Trick sei. Solange er nicht zeigen könne, warum es sich dabei nicht einfach um einen Joker handle, welchen er nicht begründen könne, könne diese Argumentationsweise nicht akzeptiert werden.

Eine andere Strategie ist es auf absurde paranormale oder mysterische Vorstellungen zu verweisen. So glaubt heute kaum noch jemand an Vorstellungen wie die, dass das Verfüttern der Innereien eines maltesischen Gockels an eine räudige Katze genau um Mitternacht auf einem Friedhof Krebs heilen kann. Wer aber eine solche Vorstellung von sich weist, kommt schnell in Verlegenheit, wenn er damit konfrontiert wird, warum man daran glauben soll, dass eine Jungfrau einen Gottessohn geboren haben soll, der allen die an ihn glauben Unsterblichkeit verleiht; oder dass das einfache zehnfache Schütteln und extreme Verdünnen einer Substanz dieser eine verstärkte Heilwirkung geben soll.

Ergänzt werden können solche Vergleiche mit alternative Erklärungen für die Phänomene. Erzählt jemand von seiner Gotteserfahrung kann erklärt werden, dass Gotteserfahrungen je nach Kultur einen anderen Gott umfassen, dass Gotteserfahrungen eine Art „Drogenflash“ sein könnten, dass zwar die Erfahrung echt, aber möglicherweise die Erklärung falsch sein könnte etc. Dem Verfechter alternativmedizinischer Methoden kann der Placeboeffekt genauer erklärt werden oder warum es zu einer Verzerrung der Wahrnehmung kommt etc. (»Wie wirkt Alternativmedizin)

Wer einen langen Schnauf hat kann versuchen, das wissenschaftliche Weltbild möglichst anschaulich zu erklären und warum dieses das meiste Mysteriöse problemlos erklären kann und warum Wissenschaft auch nicht zwingend reduktionistisch sein muss. Denn viele Menschen haben keine grosse Ahnung davon, was Wissenschaft wirklich ist. Sie kennen vielleicht die Fernsehsendung Gallilei oder die angeblich wissenschaftlich fundierte Ratgeberseite in der Wochenpostille und finden die Seite über Astrologie eigentlich gerade so überzeugend. Es kann deshalb auch versucht werden, die Person "anzufixen", sprich für die Wissenschaft zu interessieren, indem das „Faszinosum Wissenschaft“ dargelegt wird. Wer sich für Übersinnliches interessiert, interessiert sich womöglich auch für die Funktionsweise von Molekülen oder für Zauberei, wer einmal einen (mit Tricks arbeitenden) Gedankenleser erlebt hat, beginnt die Welt vielleicht etwas anders zu sehen. Auch der Besuch eines Science Slams kann die Wissenschaft in anderem Licht darstellen.